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Amazon Fresh vs Rewe: Der schwere Spagat des Lebensmittelhandels

Gepostet in Player2 Wochen alt • Geschrieben von Olaf KolbrückKeine Kommentare

Einst war es Rewe-Chef Alain Caparros, der das Schreckgespenst Amazon Fresh nutzte, um die Rewe-Kaufleute auf den Onlinehandel einzuschwören. Dann folgte auf der jüngsten Bilanzkonferenz die Beruhigungspille, die ein Stück weit klang wie die Abkehr vom Ziel, „der größte Online-Lebensmittelhändler“ zu werden. Vielleicht.
Vielleicht auch, weil die Bäume für den Online-Lebensmittelhandel noch nicht in den Himmel wachsen. Auch nicht für das drohende Lieferprogramm Amazon Fresh. Dort wird aber ganz anders kalkuliert.

Amazon Fresh vs Rewe: Das schwere Spagat des Lebensmittelhandels

„Online hat nur einen Sinn für uns, wenn der stationäre Handel profitiert. Rein Online interessiert uns nicht“, sagte Alain Caparros in Köln. Das klang deutlich anders als der Wunsch von Rewe-Digital-Chef Jean-Jacques van Oosten: „Wir wollen der größte Online-Lebensmittelhändler werden.”

Was ist da passiert? Fürchten die Rewe-Händler um Erlöse, ging ihnen das Wachstum im Web zu schnell? Immerhin schleppt der Rewe-Lieferservice heute in rund 75 Städte Tüten, kann etwa jeden dritten Deutschen mit Salat, Knödel und Waschmittel beliefern, macht sich beispielsweise in Berlin mächtig breit.

Der Markt ist dennoch mehr als überschaubar. Von einem Marktanteil des Onlinehandels von 0,8 Prozent am Gesamtmarktmarkt mit Lebensmitteln, Wein und Delikatessen geht Rewe-Finanzvorstand Christian Mielsch auf der Jahrespressekonferenz aus. Rewe bewegt sich online etwa auf diesem Niveau. Potenzial sei allerdings da, sagt Mielsch. Von Zahlen, die beispielsweise der Branchenverband Bitkom herausgegeben hat, sollte man sich also nicht allzusehr beeindrucken lassen. Laut Bitkom gaben in Januar 2015 28 Prozent der Befragten an, Lebensmittel schon einmal online bestellt zu haben. Da ist dann aber vermutlich auch jedes weihnachtliche Wein-Präsent dabei.

Gleichwohl dürften die Kaufleute und Genossen schon jetzt um ihre kommende Rendite fürchten. Bei Margen im Lebensmittelhandel, die irgendwo im unteren einstelligen Bereich (ganz weit unten) dümpeln, frisst eben jeder Euro der Gruppe im Onlinehandel jeden in der eigenen Filiale sauer verdienten Ertrag auf und senkt obendrein das Konzernergebnis.

Geld versenken, das kann sich Amazon nur leisten, das Amazon Fresh an Westküste und Ostküste der USA vorantreibt. Was angesichts des Roll-out weiteres Zuwarten so problematisch macht, ist vor allem wie sich Amazon Marktanteile in einem Nischenmarkt (und möglichen Zukunftsmarkt) sichert. Glaubt man Überlegungen der Analysten von Cowen & Co werden bereits 22 Prozent der Online-Lebensmittel in den USA über Amazon verkauft. Unter der Oberfläche solcher Zahlen gärt zudem eine weitere Gefahr für den Lebensmittelhandel: Amazon könnte sich vor allem die Gutverdiener mit einem überdurchschnittlich hohen Warenkorb abgreifen.

Den Online-Riesen schrecken die Kosten dabei eben nicht. Mischkalkulation plus Wachstum plus Cross-Selling lautet das Rezept an dessen Ende weitere Lock-in-Effekte serviert werden. Und geht diese Rechnung nicht auf, dann zählt immer noch die Langzeitvision. Gegessen wird immer, eingekauft jede Woche (und sei es nur Toilettenpapier und Waschmittel)  – und entlang dieser Pipeline kann man eine Menge mehr ausliefern. Bei Bloomberg liest sich das so:

But for Amazon, the grocery business not only brings more sales, it could also make its business more profitable. People tend to buy groceries weekly or daily, so getting them hooked on delivery justifies sending trucks out more frequently. Then any general merchandise, like a book or toy, that Amazon sells along with the food adds to profits. And since Amazon will need more trucks for grocery delivery, it could reduce its reliance on shipping companies, which have contributed to soaring costs. For now, Amazon is likely to take added grocery costs on the chin, in hopes it will pay off down the line.“

Da schockiert Amazon in den UK Online-Mitbewerber wie Ocado sogar mit Preisen, die bei Eckartikeln fast Richtung Aldi-Niveau gehen, in jedem Fall aber die Konkurrenz unterbieten.

Eine weitere Front im Preiskrieg – die dürften Rewe und Co ganz besonders fürchten. Stellen wir uns bitte nur einmal vor, Amazon würde seine deutschen Prime-Kunden ein Jahr lang mit wettbewerbsfähigen Produktpreisen in den 14 Prime-Now-Metropolen mit AmazonFresh kostenlos beliefern.

Ein schmerzstillendes Mittel gegen solche Verwundungen zeigt womöglich Ocado auf. Der britische E-Food-Spezialist Ocado, gegründet von den einstigen Goldman Sachs-Managern Jonathan Faiman, Jason Gissing und Tim Steiner, der auch für den  Supermarktbetreiber Morrisons die Shop-Software liefert, verkauft eben nicht nur Lebensmittel, sondern auch Software. Wenn auch bislang eher mit wenig Erfolg bei der Suche nach einem internationalen Lizenznehmer.

Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang ein Interview mit dem Rewe Digital-Chef Jean-Jacques van Oosten (via) und die Selbstbeschreibung von Rewe Digital. Vorbild Ocado?

Zwischen den Zeilen kann man da herauslesen, dass sich der Rewe-Manager von der digitalen Transformation des Lebensmittel-Onlinehandels so einiges erhofft und sich von Technologie und Automatisierung sowie dezentralen Hubs verspricht, die Kosten zu senken.

Ganz im Sinne seines Vorstands trägt aber auch Jean-Jacques van Oosten die Omnichannel-Fahne vor sich her. Und in der Tat passiert in den Märkten so einiges rund um Mobile Payment, WLAN in mehr Filialen und ein neuer Click & Collect-Dienst namens Beef by Rewe, der testweise in Köln, Leverkusen und Bonn erprobt wird.

Dem Rewe Digital-Chef geht es dabei aber nicht allein um die Supermärkte. Rewe Digital bündelt ja alle strategischen Online-Aktivitäten der Rewe Group, will der „führende Anbieter von Online-Lösungen in allen für uns relevanten Märkten werden“. Und da gehören neben dem großen Bereich Touristik auch neue Standbeine dazu. Der Einstieg bei Home24 war da sicher einer der schlagzeilenträchtigeren Engagement.

Man darf beim Blick auf Rewe Digital aber auch nicht die Mehrheit an Zooroyal übersehen oder den Launch von Weinfreunde.de sowie Gartenliebe.de oder die Beteiligung beim Zahlungsanbieter Barzahlen.de. Rewe Digital steht damit als ein inhouse-Inkubator und zusammen mit commercetools, dem vor zwei Jahren übernommenen Anbieter für E-Commerce-Lösungen, als ein Startup-Bauchladen da, der neue Optionen eröffnet.

rewe
Grafik: Statista

Digitalisierung ist – wenn auch noch voller Lücken – für Rewe also auch der schrittweise Weg Richtung digitale Diversifizierung. Und da könnte Rewe eines Tages die Amazon-Gleichung aufmachen: Mischkalkulation plus Wachstum plus Cross-Selling – allerdings ergänzt um die Variable Multichannel. Dafür aber braucht es die Kaufleute. Dass diese vor lauter Schreck vor der eigenen Digitalisierung (die größer ist als die Furcht vor Amazon Fresh) zu Edeka abwandern, kann sich auch Caparros nicht erlauben.

Ohnehin hat der schon immer verkehrt gelegen, der den Rewe-Chef als Jünger des Pure Play sehen wollte. In einem Interview mit GDI-CEO David Bosshart plädierte Alain Caparros schon 2015 für den Spagat: „Unsere Chance ist das Omni-Channel-Geschäft. Unsere stationären Märkte mögen aus Sicht der «pure player» im Online-Handel eine Last sein. Ich sehe sie hingegen als unsere größte Chance, den Kunden eine Verbindung des Besten aus beiden Welten zu bieten. Denn wir können beides erfüllen: den Wunsch nach dem, was Sie «romantische Erfahrung» nennen, und zugleich das Bedürfnis nach Bequemlichkeit und Komfort, der mit dem Online-Geschäft verbunden ist. Und wir können beides kreativ miteinander kombinieren.“

Was die romantische Verklärung, es sei denn, Sie finden Sie es erlebnisreich eine Zahnbürste einzukaufen, indes verkennt: Ein Großteil des klassischen Supermarkteinkaufs widmet sich Low-Involvement-Produkten – ein Bedarf den Amazon Pantry geschickt bedient.

Kistenweise werden Kunden aber eben diese Produkte schon in wenigen Jahren per Autopilot einkaufen. Sei es über automatisch aktualisierte Einkaufslisten, sei es über Dash Buttons, vernetzte Geräte im Smart Home oder Sprachsteuerungsboxen wie Amazon Alexa. Spätestens dann ist es auch für Rewe und Co an der Zeit, dem Kunden zu aller erst im Netz mittels kostensparender Technologie und Automatisierung Bequemlichkeit zu bieten – und sich stationär auf das zu konzentrieren, was man gemeinhin am besten zu können glaubt: Frische.

Alain Caparros ist auch Referent bei der Internationalen Handelstagung des GDI vom 8. bis 9. September 2016 in Zürich.

 

Diesen Beitrag haben wir von etailment.de übernommen.

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