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Versandhandelstag 2014: “Der Kunde will WLAN, Kaffee und Ruhe”

Gepostet in News10 Monate alt • Geschrieben von RedaktionEin Kommentar
Foto: Handelsverband

Die Flächen im stationären Handel werden in Zukunft enorm schrumpfen, prognostiziert Harald Gutschi von der Unito-Gruppe (Foto: Handelsverband, Archiv 2013)

Am heutigen Donnerstag fand in Wien der 14. Versandhandelstag des Österreichischen Handelsverbandes statt. Der Event widmete sich voll und ganz dem Thema Multichannel und ging intensiv auf die logistische Herausforderungen ein, die die Digitalisierung des Handels mit sich bringt. www.etailment.at war vor Ort und hat die wichtigsten Aussagen und Erkenntnisse für Sie zusammengefasst.

Den Event eröffnete Harald Gutschi, Sprecher der Geschäftsführung der Unito-Gruppe. Für Österreich prognostiziert Gutschi einen Handelsflächenrückgang um 25 Prozent innerhalb der nächsten 5 Jahre. Konkret geht er davon aus, dass der stationäre Flächenmarkt im österreichischen Technik- und Consumer Electronic-Bereich bis 2020 um 60 Prozent sinken wird, für den Textilmarkt prognostiziert er einen Rückgang von immerhin 20 Prozent. „Und das ist erst der Anfang. Viele neue Technologien werden die Welt in zwei bis drei Jahren von Grund auf verändern. Man muss als Unternehmen aufpassen, dass man einen Trend nicht verschläft“, appelliert Gutschi an die etwa 200 Gäste aus Handel, IT und Logistik.

Bosshart: “Der Kunde will WLAN, Kaffee und Ruhe”

Als Eröffnungsredner des Events widmete sich David Bosshart vom Gottlieb Duttweiler Institut der Frage, wie digitale Services und Netzwerke den Handel verändern. „Es braucht heute nur noch drei Dinge, damit sich ein Mensch wohl fühlt: WLAN, Kaffee und Ruhe“, konstatiert Bosshart. Ihm zufolge gehe es darum, dass Menschen heute überall alles machen wollen. „Die Welt der totalen Synchronisierung steht erst am Anfang.“ Für die Unternehmensseite bedeutet diese Entwicklung eine große Herausforderungen, meint Bosshart: „Wenn ein Unternehmer heute noch glaubt, dass sich der Kunde an sein Unternehmen anpassen sollte, irrt er.“ Um aus der Digitalisierungswelle ein erfolgreiches Geschäft zu entwickeln, müsse man vielmehr eine Vorstellung dafür entwickeln können, wie die Welt in zehn Jahren aussehen wird: „Denn es ist wichtig, Trends zu kennen und zu wissen, wann eine Idee zur richtigen Zeit umgesetzt werden muss.“

Erfolgsmodell Maschine

In Bossharts Augen bilden der Mensch und seine Maschine, heute in Form seines Smartphones, in Zukunft eine untrennbare Einheit. Bosshart sieht darum in der Beziehung Mensch-Maschine das Erfolgsmodell der Zukunft: „Die Basiseinheit Ihres Erfolgs wird in Zukunft von der Frage abhängen, wie Sie mit Ihrer Maschine zusammenarbeiten.“ Digitale Geräte wurden Bosshart zufolge immer schneller, mächtiger, potenter, aber auch billiger und intelligenter. Menschen hingegen bleiben „langsam, träge und eingeschränkt.“ So gehe es für Unternehmen letztendlich darum, „die Power der Geräte richtig zu nutzen.“ Als Beispiel liefert der Redner selbstfahrende Autos, die „die nächste große Revolution sein werden.“ Bosshart prognostiziert: „In zehn bis zwölf Jahren wird niemand mehr ein eigenes Auto fahren.“

“Verfolgen Sie die Aktivitäten von Google, Apple und Facebook

Trends werden von Innovationsführern wie Google vorgegeben, erklärt Bosshart. „Wenn Sie in die Zukunft schauen wollen, schauen Sie jetzt darauf, was Google, Apple, Facebook, Amazon und Microsoft tun und welche Unternehmen sie aufkaufen. Dann können Sie vorhersehen, in welche Richtung sich die digitale Welt entwickeln wird. Denn diese Firmen verändern die Welt“, erklärt Bosshart. Grundsätzlich sei aber eine verlässliche Technologie die wichtigste Form der Kundenbeziehung. Die Stärke eines Modells messe sich Bossart zufolge daran, wie eine Firma das Vertrauen ihres Kunden gewinnen könne. Als Beispiel nennt er Amazon – ein Unternehmen, das trotz gewerkschaftlichen Protesten noch immer mit Vertrauen punkten könne.

Rohstoffe der Zukunft: Zeit, Daten, Identität

Die Digitalisierung hat laut Bosshart das wirtschaftliche System nachhaltig beeinflusst. „Online hat unsere Preiswahrnehmung verändert“, findet Bosshart. „Im Einzelhandel wird immer in der Differenz ‚teuer oder billig’ gedacht.” Die Digitalisierung hätte hier für einen Sprung von “billig zu gratis” gesorgt, meint Bosshart: „Selbst ein Preis von einem Cent ist unendlich viel teurer, als gar nichts zu bezahlen. Google hat diese Denkweise mit Diensten wie Google Maps umgesetzt, und die Leute nehmen das gerne an – denn die Menschen lieben Geschenke.“ Was aber nicht jedem User bewusst ist: Die Menschen geben Google im Gegenzug ihre Zeit, ihre Daten und ihre Identität. „Und genau diese drei Dinge sind der Rohstoff der Zukunft“, so Bosshart. Nicht umsonst sei Amazon heute der „Supermarkt der Welt“, während Twitter die Position des traditionellen „Stadtplatzes“ einnimmt, Kindle die neue Bibliothek sei und sich Facebook zu einer neuen Form des Familienalbums entwickelt habe.

Bosshart zufolge ersetze Software zunehmend die Hardware – dies führe laut Bisshart zum Phänomen der Dematerialisierung. „Waren früher TV-Gerät, Wecker, Zeitung und Kamera jeweils eigene Geräte, so ist heute alles im Smartphone verpackt. Das spart Platz.“ Vor diesem Hintergrund setzen junge Menschen heute vermehrt auf Sharing Economy und das „Big Business of Reuse“, wie etwa reCommerce. Diese neuen Kundenbedürfnisse zu befriedigen, solle Bosshart zufolge einen besonders hohen Stellenwert in jeder Unternehmensstrategie einnehmen. „Der Handel darf nicht mehr nur herumdoktern, er muss sich völlig neu erfinden.“

“Multifunktionaler Konsument”

Der Konsument der Zukunft ist ein multifunktionaler Konsument, meint der Eröffnungsredner. „Es ist wichtig, das Knowhow des Konsumenten zu integrieren und vom Datenaustausch zu profitieren. Der multifunktionale Konsument im digitalen Umfeld wird zum integrierten Teil der Wertschöpfungskette“, findet Bosshart. Auch auf die Frage, welche Märkte die Digitalisierung am stärksten betreffen wird, versucht Bosshart einzugehen: „Spannend wird es dort sein, wo es keine etablierten Handelsstrukturen gibt, wie etwa Afrika oder Indien. Dort ist es umso interessanter, mit Drohnen oder neuen Formen des Direkthandels zu experimentieren.“ Bosshart schließt: „Der Handel von morgen wird nicht mehr zwischen on- und offline unterscheiden. Wichtig ist: die Kunden wollen frei sein und Transparenz genießen, sie wollen auf Augenhöhe kommunizieren und ihre Bedürfnisse kanal-unabhängig befriedigen.“

Frische Zahlen zum Distanzhandel in Österreich

Im zweiten Vortrag präsentierte Ernst Gittenberger vom KMU Forschung Austria aktuelle Studienergebnisse zum Konsumentenverhalten im Distanzhandel. Demnach ist die Zahl der Distanzhandels-Shopper im Vergleich zum Vorjahr konstant geblieben, während der Gesamtumsatz im Distanzhandel von 6,4 auf 6,9 Milliarden Euro angestiegen ist. 66 Prozent der 2.000 befragten Österreicher haben im Zeitraum von Mai 2013 bis April 2014 per Distanzhandel eingekauft. Im Vergleich zu den Vorjahren habe insbesondere der Online-Einkauf an Bedeutung zugenommen: Während 2010 nur 33 Prozent der Befragten online bestellten, waren es 2014 bereits 46 Prozent. Distanzhandel-Kunden informieren sich in erster Linie auf der Internetseite (73 Prozent) und im Katalog des Händlers (37 Prozent), wobei jüngere Menschen vor allem den Online-Kanal als Informationsmedium bevorzugen.

Retourendilemma trifft Modebranche: Hälfte schickt Kleidung wieder retour

Laut Studie senden vier von zehn Distanzhandelskäufern ihre bestellten Waren wieder retour. 23 Prozent haben bei der Bestellung bereits gewusst, dass zumindest ein Teil der Waren wieder retour gehen werden. „Das ist schon zur Normalität geworden“, erklärt Gittenberger das Phänomen, das hauptsächlich für den modischen Bereich gelte. Am meisten retourniert wird der Studie zufolge in den Bereichen Bekleidung/Textilien (49 Prozent) und Schuhe/Lederwaren (27 Prozent Retouren). Im Elektro- sowie Computer- und Hardware-Bereich betragen die Retourquoten zehn bzw. acht Prozent.

Die letzte Meile als größte Herausforderung im digitalen Zeitalter

Der letzten Meile im digitalen Zeitalter widmeten sich in einer Podiumsdiskussion die vier Logistik-Experten Michael Löhr, Gründer und Geschäftsführer von tiramizoo, Georg Pölzl, Vorstandsvorsitzender und Generaldirektor der Österreichischen Post, Michael Reichelt, Geschäftsführer von emmasbox sowie Erich Schönleitner, Geschäftsführer der Pfeiffer Handelsgruppe. Georg Pölzl präsentierte zunächst die neuesten Lösungen der Post, um die Convenience der Kunden zu erhöhen. Unter den Maßnahmen befinden sich Selbstbedienungszonen, Abholstationen und Empfangsboxen. „Wir werden schon heuer eine Million Pakete in solche Empfangsboxen legen“, prognostiziert Pölzl. „Außerdem werden wir unser Angebot für die Abholstationen massiv ausbauen.“ Stolz zeigt sich Pölzl auch über erste Gehversuche in Richtung Same Day Delivery: „Die Post testet das Konzept bereits intensiv in zwei Wiener Gemeindebezirken.“ Denn: „Same Day Delivery ist ein Geschäftsfeld, das uns auch in Zukunft beschäftigen wird“, so Pölzl.

“Der Kunde zahlt gerne für Same Day Delivery”

Die jungen Startups Tiramizoo und Emmasbox haben in Deutschland schon viel Erfahrung mit Same Day Delivery und Abholstationen gesammelt. Emmasbox kooperiert seit diesem Jahr auch mit der Pfeiffer Handelsgruppe in Oberösterreich. Erich Schönleitner von der Pfeiffer Handelsgruppe: „Wir experimentieren im Raum Linz mit Pickup-Stationen. Außerdem möchten wir in Oberösterreich einen flächendeckenden Lieferservice etablieren.“ Seine Ziele hat sich Schönleitner hoch gesteckt: „Wir wollen Marktführer im heimischen Online-Lebensmittelbereich werden.“ Kritik übt Schönleitner an den Management- und Führungsebenen, die ihm zufolge oft unter einem enormen Behaarungsvermögen leiden. „Die Zukunft eines Unternehmens hängt immer vom Denkvermögen der Führungsebene ab. Denn am Ende entscheidet immer der Verbraucher, wie sich ein Thema weiterentwickelt.“ Reichelt und Schönleitner sind der Meinung, dass sich in Zukunft sowohl Same Day Delivery als auch Abholstationen durchsetzen werden. Auch Michael Löhr von tiramizoo sieht in Same Day Delivery eine große Zukunft: „Erfahrungsgemäß ist der Kunde bereit, für höherwertige Produkte ab 100 Euro für eine Same Day Delivery bis zu 20 Euro zu bezahlen.“ Gleichzeitig befürchtet Löhr, dass große Handelsunternehmen Same Day Delivery bald als gratis Zusatzservice in ihr Portfolio mit aufnehmen könnten. Das würde die Konkurrenz am Markt erheblich verschärfen: „Ich möchte grad nicht in der Lage der Händler sein“, erklärt Löhr.

 “Gutes Multichannel-Management gefragt”

Reichelt meint, für die neuen Lösungen müssten sich noch einige Muster herausbilden, derzeit werde mehr experimentiert. So würden sich etwa für gewisse Produktsorten Abholboxen besser eignen, während für andere Produktsorten wiederum der Einsatz von Same Day Delivery sinnvoller sein könnte. „Welches Produkt biete ich über welchen Kanal – hier ist ein gutes Multichannel-Management gefragt“, erklärt Reichelt. Trotz aller Pro- und Contra-Diskussionen habe sich aber gezeigt: Ein „logistisches Zurück“ gibt es für den Handel nicht mehr. Dieser Meinung ist auch Michael Löhr: „Das muss sich der Handel jetzt gut merken: Same Day Delivery und Abholboxen werden sich durchsetzen. Es gibt kein Zurück mehr, die Lawine ist schon losgetreten.“

Am morgigen Donnerstag lesen Sie auf www.Etailment.at den Nachbericht zum Nachmittagsprogramm des Versandhandelstages 2014.

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